„Ich höre niemals bei Theartic auf“ (OZ, 03.01.2019)

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„Ich höre niemals bei Theartic auf“
Veranstaltungen von Theartic
Von Mona Hanssen
Zukunft Ulrike Heymann hat den Verein vor 16 Jahren gegründet / Vieles hat sie damit noch vor
Die integrative Theaterwerkstatt Theartic ist in Emden längst zu einer Institution geworden. Deren Gründerin Ulrike Heymann wollte eigentlich Musikerin werden, erzählt sie
im Interview.
Emden – Ulrike Heymann ist in Emden wohl bekannt. Vor 16 Jahren gründete sie Theartic für sogenannte Behinderte und sogenannte Nichtbehinderte, wie es im Namen des
Vereins heißt. Aber es ist viel mehr als ein Verein oder ein Beruf für die 64-Jährige. Wenn sie über ihre Begegnungen mit Kindern wie Erwachsenen spricht, leuchten ihre
Augen auf.
Ostfriesen-Zeitung: Seit einer Ausschusssitzung heißt es ja, dass Theartic um seine Zukunft bangt, da Sie in den Ruhestand gehen wollen. Was ist an dieser Aussage dran?
Ulrike Heymann: Es gab ein großes Missverständnis. Ich höre niemals auf. Da ich aber körperlich behindert bin und das auch schlimmer wird, weiß ich nicht, wie lange ich
noch genauso viel wie jetzt für Theartic machen kann. Daher wollen wir jetzt früh genug in einer Art Übergangszeit jemanden finden, der oder die meine Nachfolge bei
Theartic antreten kann. Wir wollen daher bundesweit eine Stelle ausschreiben. Das wird sich im Januar entscheiden.
Oz: Ohne Sie würde es Theartic ja gar nicht geben. Wie kam es, dass sie den Verein 2002 gegründet haben?
Heymann: Das hat mit meiner eigenen Lebensgeschichte zu tun. Die erste Hälfte meines bisherigen Lebens war ich nicht körperlich behindert. Ich habe Musik studiert und
habe dabei schnell entdeckt, dass ich unheimlich gerne unterrichte. So kam ich nach dem Studium an die Musische Akademie hier in Emden. Dann stellte sich aber heraus,
dass ich nach und nach immer mehr Hörvermögen verlieren würde und zusätzlich unter einer neurologischen Erkrankung leide.
OZ: Und Theartic wurde zur Alternative?
Heymann: Ja, für mich kam nur in Frage, dass ich weiterhin im künstlerisch-pädagogischen Bereich bleibe. Entschieden habe ich mich dann fürs Theater und dafür eine
berufsbegleitende theaterpädagogische Ausbildung gemacht. 2002 habe ich mir dann sieben Leute gesucht und mit denen den Verein Theartic gegründet. Mir war von Anfang
an klar, dass es eine Theaterwerkstatt für Menschen mit und ohne Behinderung sein würde. Zum ersten Treffen 2003 kamen 28 Menschen – eine sehr schöne Überraschung.
Ich finde, das Supertollste ist es, mit Leuten etwas zu erarbeiten und das dann auf der Bühne gut zu präsentieren. Mittlerweile haben wir ja sehr viele Gruppen.
oz: Auch welche für Geflüchtete.
Heymann: Ja, bei Stücken von „Theartic kunterbunt“ und „Theartic junior“ etwa haben viele geflüchtete Kinder und Erwachsene mitgespielt. Das war teilweise wegen der
Sprachbarrieren und auch organisatorisch sehr kompliziert. 34 Kinder waren eine Zeit lang bei Theartic – das mussten wir etwas zurückfahren, weil wir das einfach nicht mehr
stemmen konnten. Ich würde das aber sehr gerne wieder ausbauen.
oz: Welche Personengruppe würden Sie noch gerne einbinden?
Heymann: Ein Wunsch wäre es für mich, etwas mit gehörlosen Menschen zu machen.
OZ: Wenn Sie zurückblicken, was ist Ihnen als besonders schönes Erlebnis im Gedächtnis geblieben?
Heymann: In einem Stück sollte ein kleines Mädchen aus Afghanistan eine Ritterin spielen. Ich habe ihr erklärt, was das ist und dass es so etwas nie gegeben hat – Frauen
waren höchstens Burgfräulein und durften sich nicht bilden, reiten oder kämpfen. Da sagte sie, das sei wie heute in ihrer Heimat. Das hat mich sehr bewegt. Es sind solche
Kleinigkeiten, die meine Arbeit bereichern. Beispielsweise auch, dass eine Jugendliche mit Down-Syndrom, die von Anfang an bei uns dabei war und nie Sprechrollen haben
mochte, sich plötzlich getraut hat, auf der Bühne zu sprechen – das war einfach super. Auch für ihre Eltern.
OZ: Daran merkt man auch, wie wichtig die Arbeit von Theartic ist.
Heymann: Ja, es ist toll, zu sehen, wie sich Menschen mit und ohne Behinderung durch die Theaterarbeit entwickeln – und auch mutig werden.
Oz: Wie viel Zeit bleibt Ihnen neben der Arbeit noch für sich selbst?
Heymann: Wenn ich ganz abschalten will, ist da mein größtes Hobby – meine Insel sozusagen – Fußball. Ich bin in Dortmund geboren und war als Kind oft mit meinem Vater,
der Sportjournalist war, im Stadion auf der Pressetribüne. Heute höre ich jeden Samstag – wenn wir nicht gerade proben – die Berichterstattung im Radio. Im öffentlichrechtlichen Fernsehen läuft das ja vielfach nicht mehr. Sky kommt mir nicht ins Haus. Für 2022 plane ich nach dem in 2006 ein weiteres Fußballstück.
OZ: Ihr Hobby fließt also auch in Ihre Arbeit ein?
Heymann: Ja, und meine restlichen Hobbys sind untrennbar von meiner Arbeit. Unser Hauptbüro etwa ist in meinem Haus. Alles, was da rumsteht, liegt und hängt, ist
eigentlich für Theartic. Ich lese viel, ich schreibe von morgens bis abends an Stücken – im Café, im Zug, überall.
OZ: Inspirationen dafür nehmen Sie aus dem Tagesgeschehen?
Heymann: Unsere Stücke sind eigentlich alle politisch, weil ich so erzogen worden bin. Ich war schon immer ein politischer Mensch.
OZ: Apropos Büro: Theartic musste ja umziehen?
Heymann: Wir als Verein haben ja keine eigenen Räume, wir sind über das ganze Stadtgebiet verteilt. Auch über Privaträume, etwa bei mir zu Hause. Aber als Arbeitsplatz für
eine Minijobberin und eine Ehrenamtliche wollte ich, nachdem wir wegen Eigenbedarfs unseres vorigen Vermieters umziehen mussten, nicht auch noch mein Haus anbieten.
Glücklicherweise sind wir dann am Delft fündig geworden.
Das Theaterstück mit dem Titel „beziehungsweise Zweierkisten“ wird von Theartic am 28. Februar sowie am 1. und 2. März im Neuen Theater in Emden gezeigt. Beginn ist
jeweils um 20 Uhr. Der Eintritt kostet 14 Euro, ermäßigt sieben Euro. Der Ticket-Vorverkauf für „beziehungsweise Zweierkisten“ startet am 11. Februar.
Der TheartiChor tritt am 10. März ab 17 Uhr in der Schweizer Kirche auf. Der Eintritt kostet zehn Euro, ermäßigt fünf Euro.
ThearticStomp und das Theartic Ensemble präsentieren sich am 26. Mai ab 17 Uhr im Neuen Theater mit dem Stück „Arbeit und Vergnügen“. Der Eintritt kostet zehn Euro,
ermäßigt fünf Euro.

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