Eindringliches Plädoyer für eine vielfältige Gesellschaft (OZ, 06.03.2017)

Quelle: OZ v. 06.03.2017 | OZ-Redakteur: Heiko Müller

Kultur Theartic brachte mit „Europa. draußen“ eine ausdrucksstarke Inszenierung auf die Bühne

Die 400 Besucher der Premiere gingen durch ein Wechselbad aus Dramatik, Satire und Absurdität.

Emden – Theartic hat die Gratwanderung gemeistert: Die Emder Kulturinstitution hat mit der neuen Inszenierung „Europa. draußen“ erneut eine Glanzleistung auf die Bühne des Neuen Theaters gebracht.

Der Stoff hätte aktueller nicht sein können: Das Stück handelt von Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus, von Flucht, Vertreibung und europäischer Abschottungspolitik. Der Autorin und Regisseurin Ulrike Heymann ist es gelungen, den Finger in die Wunde zu legen, gesellschaftliche Probleme anschaulich darzustellen und damit eine der vordringlichsten Aufgaben von Theater zu erfüllen.

Sie hatte den genialen Einfall, Reisende aus Westeuropa in einem Zug auf freier Strecke auf dem Balkan stranden zu lassen und damit die Verhältnisse quasi auf den Kopf zu stellen. Dieser Perspektivwechsel machte Deutsche plötzlich zu Ausländern, Ausländer zu Einheimischen oder Fremde zu Freunden. Zeitweise schmolz diese vielfältige Gesellschaft zu einer fröhlichen Gemeinschaft zusammen, aber schon im nächsten Moment traten neue Konflikte auf.

In guter Theartic-Manier wurden ganz unterschiedliche Charaktere gezeichnet, die eine ganz bunte Gesellschaft ergaben. Herausragend war, wie Siegfried Württemberger die zentrale Rolle des rechtspopulistischen und spießigen Deutschen ausfüllte. Manche Figuren wurden bewusst überspitzt dargestellt, so dass es bei aller Dramatik und Ernsthaftigkeit auch an Satire und Humor nicht mangelte. Aber Theartic ging sehr sensibel mit dem Einsatz dieser Mittel, übertrieb es nicht, obwohl die Realität absurd genug erscheint.

Den 400 Premierenbesuchern am Donnerstag blieb manches Mal das Lachen im Halse stecken, weil die traurige Realität mit Fakten über die Situation von Geflüchteten oder Fotos aus den Krisenherden dieser Welt sie schnell wieder einholte. Genial war auch der Regietrick, während des Stücks alle Mitglieder des Ensembles einzeln vorzustellen und deutlich machen zu lassen, dass in jeder Familie Spuren von Migration zu finden sind.

Die Inszenierung gewann an Ausdrucksstärke, Aussagekraft sowie an Authentizität, weil Darsteller mit und ohne Behinderungen, Deutsche, Geflüchtete und Migranten gemeinsam auf der Bühne standen und schon auf diese Weise die bunte Vielfalt propagierten. Jedem einzelnen Darsteller war eine große Spielfreude anzumerken.

Ihren Höhepunkt erreichte die Inszenierung, als der syrische Flüchtling Muaffak Alshamaly eindringlich das volkstümliche Lied „Kein schöner Land in dieser Zeit“ sang und sichauf der Oud, einer arabischen Laute, begleitete. Niemand im Saal wusste, von welchem und wessen Land er eigentlich singt – Gänsehaut pur!

Das Publikum belohnte die Leistung des Ensembles mit stehenden Ovationen – zu Recht.

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