Emden. Da sind sie wieder, diese unvermeidlichen, allseitsbekannten Erbsenzähler vom Amt. Ihr Büro sieht hier aus wie in einem Kubrik-Film; es scheint nach oben hin immer größer zu werden – mächtig!
Die oberste „Instanz” der „Behörde für besondere Auffälligkeiten” bestimmt als strenge Administration die Verhaltensrichtlinien aller Menschen, die Behörde jagt genau jene außergewöhnliche Menschen, die sich so gern im Kaffeehaus treffen; nicht aus Böswilligkeit, sondern nur der Ordnung halber, damit es passt und das heißt: damit die Sonderlinge als schreibbarer Aktentext verarbeitet werden können, damit auch sie zählbar, kontrollierbar und verwertbar werden. Die Anspielungen in diesem Stück sind zahlreich, aber nicht aufdringlich, die Mahnung passt mehr denn je: Wehe dir, wenn du dich völlig anders verhältst, warum auch immer. Das geht nicht. Die Inspektoren entdecken ein regelrechtes Wespen-Nest der Andersartigkeit und haben Mühe, die Vielzahl der bizarren Abweichler in den Griff zu bekommen.
Mit großer Intensität und Sinn für die Botschaft gingen alle Akteure zur Sache, geradezu leidenschaftlich verwirklichten einige der Darsteller ihre teilweise sehr witzigen Freak-Rollen.
Eindrucksvoll war das gesamte Bühnenbild. Ein entsprechender Lichteinsatz verstärkte den Eindruck einer zweigeteilte Kulisse, so wurde der Gegensatz zwischen Spießer-Amt und Chaoten-Café mustergültig verdeutlicht. Als Kulissen-Mitgestalter war die erfahrene Handschrift von Bühnenbauer Urmel Meyering erkennbar. Im Café aber heißt es: Sich wundern ist normal! Einer bringt Pflanzen das Alphabet bei, eine andere sammelt Unmengen an Gerätschaften und der Kellner ist gleichzeitig auch noch der Soldat im Laden; Herr Edelbert bleibt dagegen lieber im Bett, auch wenn er mal ausgeht. Gemeinsam lachen sie alle gern mit Frau Licht, eine Figur wie aus der Puppenkiste. Wie soll man diese „Wahnsinnigen” nur in der Griff bekommen?
Gar nicht. Denn interessanterweise drehen auch die Leute vom Amt endlich mal durch. Der Grund: Die Natur ihrer Arbeit verzeiht keine Fehler, schon gar nicht, wenn was wegkommt. Das unterscheidet die Bürokraten wesentlich von den angeblich Bekloppten im Kaffeehaus. Deren Fehlertoleranz ist grenzenlos, die Amtsleute hingegen leiden unter der Verdammnis der Perfektion. Können beide Seiten überhaupt zusammenkommen?
Manchmal schon. Als die graue Truppe nicht mehr kann, müssen die Freaks ran. Wie nun kreative Chaoten und sture Ordnungshüter gemeinsam zur Sache gehen und die oberste Instanz austricksen wird zum dramatischen Höhepunkt des Stückes. Am Ende stellt sich sogar die Frage: Ist die oberste Instanz vielleicht selbst – verrückt?
Trotzdem flüssig
Erstaunlich, was das Theartic-Ensemble mit seinen gehandicapten Darstellern angesichts der beschwerlichen Probenbedingungen wieder mal auf die Bühne bringt. Man vergisst leicht, dass diese Emder Institution ja immer noch keinen festen Probenraum hat! Es grenzt an ein Wunder, dass die Premiere trotzdem so flüssig ablief.
Nicht zuletzt dank der jazzigen Musik der Band von Arne Bohnet ein einfallsreiches, mitreißendes Stück voller amüsanter Ideen, insbesondere was die Dialoge, die Kostüme und die Kulissen angeht, sehenswert. Ein paar modernere Klangfarben hätten vielleicht der Bühnenmusik nicht geschadet. Für die Zukunft könnte man sich noch raumgreifendere Klänge und Geräusche als zusätzliche dramatische Belebung vorstellen.
► Stück und Regie: Ulrike Heymann
► EZ-Kritik vom 02.11.2013 zum Download (PDF): Hier klicken!