Von Drinnen & Draußen (EZ 05.08.2015)

Quelle: EZ vom 05.08.2015 | Redakteurin: Gaby Wolfs

Theartic0508_1Emden. Musik und Getrappel hallt durch den Saal der Alten Post. Ein Pulk Menschen übt das soziale Gewühl. Hier grüßen sich zwei mit Handschlag, dort gibt es artiges Rückentätscheln, daneben fallen sich zwei um den Hals, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen. Aufwärmübungen für das neue Stück von Theartic, der Emder Theaterwerkstatt für Behinderte und Nichtbehinderte. Beteiligt sind das Erwachsenen-Ensemble und die offene Theaterwerkstatt. Dass mit Muaffak (29), Moaz (20) und Khalid (19) auch drei Flüchtlinge aus Syrien und Somalia mitproben, merkt man jedoch erst, als es zu den Sprechrollen kommt.

Jeder der drei hat seine eigene Gruppe mit weiteren Theartic-Spielern dicht hinter sich, die chorartig jenen Leitsatz nachwispern, den Regisseurin Ulrike Heymann den jungen Männern zugeteilt hat. „Immer mit der Ruhe”, sagt Khalid. „Ich habe mich erschrocken”, sagt Muaffak. „Ich bin neu hier”, lautet der Part von Moaz. Was auch stimmt. Der junge Syrer macht erst seit einer Woche bei Theartic mit. Die anderen beiden sind schon ein bis zwei Monate dabei. Dennoch: Einige Anläufe sind nötig, bevor auch ihnen die Wörter stolperfrei über die Zunge kommen.

Der Akzent aber darf bleiben. Auch er fügt sich ein, denn das neue Stück greift das auf, was Flüchtlinge derzeit in Europa erleben müssen. Eigentlich hatte Ulrike Heymann ein ganz anderes Stück im Kopf, das eines völkerverbindenden Europas. Doch, was sie über die Flüchtlingsdramen an den Außengrenzen las und sah, ließ sie nicht los. Und so lautet der Arbeitstitel des Stücks, das im Zusammenspiel mit den Akteuren nun bis zur Premiere 2016 weiter am Reifen ist: „Europa.draußen”.

Muaffak, Moaz und Khalid allerdings erleben gerade das Drinnen. Heymann und Co-Regisseur Hans Langen haben zur weiteren Festigung des Gruppengefühls gerade das „Wäldchen-Spiel” eingeschoben. Dicht gedrängt schieben sich die Gruppen durch den imaginären dunklen Tann, ständig auf der Hut vor möglichen Gefahren, sich gegenseitig schützend. Ganz automatisch gehen die Mitspieler auf Tuchfühlung, ob nun Flüchtling oder nicht, ob mit Handicap oder ohne.

Für Moaz eine neue, aber spannende Erfahrung. „Die Leute hier sind etwas Besonderes”, findet er. Er freue sich, in der Gruppe mitmachen zu können und seinerseits mehr über seine Mitstreiter und ihr Leben zu erfahren. Eifrig sucht er nach den passenden deutschen Begriffen, wirkt fast verzweifelt, wenn sie ihm nicht einfallen wollen. Vor acht Monaten sei er nach Deutschland gekommen, erzählt er. Er bemühe sich sehr, mehr Deutsch zu lernen, denn er würde gern sein Studium zum Chemieingenieur hier fortsetzen. Aber in der WG, in der er mit seinem Bruder untergebracht sei, könne er die Ruhe dazu nicht finden. Auch schmutzig sei es, und eine andere Wohnung nicht zu finden. Möglich, dass er deshalb nicht in Emden bleibt.

Theartic0508_2Auch Landsmann Muaffak erhofft sich eine berufliche Zukunft in Deutschland, nachdem er vor vier Jahren aus Syrien fliehen musste, der Grund: die Politik. „Ich habe demonstriert”, erklärt der Bauingenieur. Erst schlug er sich in anderen arabischen Ländern durch, seit elf Monaten ist er in Deutschland. „Hier gibt es eine große Autoindustrie”, sagt er. „Aber ich weiß, dass ich noch viel Deutsch lernen muss.” Das Proben mit Theartic helfe dabei. „Zu Hause in Syrien war ich auch zehn Jahre lang in einer Theatergruppe”, erzählt er mit strahlenden Augen.

Die hat auch Khalid während der Probe. Er wisse noch genau das Datum seiner Ankunft in Deutschland, erzählt der Somalier in der Pause. „25. Juni 2013.” Deutsch lernt er so richtig erst seit zwei Monaten im Kulturbunker. Er spiele auch Gitarre und Fußball, sprudelt es trotzdem aus ihm heraus. „Und im September fange ich bei der BBS II an, da lerne ich mit Metall”, verkündet er stolz.

Die Pause ist um. Jetzt geht es an eine längere zusammenhängende Szene, die auf einem Bahnhof spielt. Weil beim neuen Stück alle gleichermaßen noch am Anfang sind, kommt es zu putzigen Verhakelungen. Gelächter hallt durch den Saal. Egal, was die Zukunft den drei Flüchtlingen bringen wird. Für den Moment wirken sie glücklich.

► EZ-Kommentar von Redakteurin Stephanie Schuurmann:

Gutes Rollenspiel
Thema:
Flüchtlinge bei Theartic

Theartic, die Emder Theaterwerkstatt für Behinderte und Nichtbehinderte, hat neue Ensemble-Mitglieder. Flüchtlinge aus Syrien und Somalia stehen jetzt zusammen mit Emdern auf der Bühne, sind zumindest dort schon einmal voll integriert (Seite 5). Verständigungsprobleme sind nicht zu erwarten, schafft es doch Theartic immer wieder, genau aus der Unterschiedlichkeit der Menschen eine große gemeinsame Sache zu machen.

Regisseurin Ulrike Heymann hat mit dem neuen Stück außerdem das aufgegriffen, was die vornehmste Aufgabe des Theaters ist: aktuelle gesellschaftliche Probleme anschaulich darzustellen. Und eines der größten ist ganz sicher die Flüchtlingsproblematik, die uns alle angeht.

Mit Muaffak, Moaz und Khalid spielen also nun drei Betroffene zwischen den Emder Akteuren mit. Die etwas andere Theatergruppe profitiert von deren Erfahrungen. Gleichzeitig gewinnen die Drei auch. Ihren teils traumatischen Erlebnissen wird hier eine Bühne gegeben. Sie lernen Freunde kennen – und nicht zuletzt die Sprache, in der sie sich künftig verständigen müssen. Großartig.

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