Wer hat das Rad gestohlen? (EZ, 27.04.2018)

Zum Nachlesen:

Das Theartic-Kinderensemble hatte Premiere mit seinem Stück „Gerüchte”

Von Karl-Heinz Janssen

Emden. Nicoles Fahrrad ist weg. Alle erfahren davon in Windeseile, denn im Stadtteil Waldsee ist das so: Die Menschen reden hier viel miteinander, mehr noch, sie helfen sich gegenseitig, sind überaus zuvorkommend, höflich und freundlich. Und wenn es mal Probleme gibt, dann …

Dann gibt es manchmal nicht sogleich eine Lösung, wie bei Nicoles Fahrrad. Und siehe da, schon fängt es auch im Waldsee-Viertel an zu riechen; „Gerüchte” machen sich breit, Vermutungen, Vorstellungen, Spekulationen, Verdächtigungen. Diese „Gerüchte” haben alsbald auch die Menschen im Café „Harmonie” fest im Griff, der Frieden ist dahin.

Alle wollen Nicole helfen, alle sorgen sich, doch schon geht die Angst um: Ob das Diebe waren? Und wenn ja, was könnten die noch alles klauen? Nichts Genaues weiß man, aber besser ist, man passt jetzt auf – und denkt sich seinen Teil, man weiß ja nie. So wird aus einem Verlust schnell ein Diebstahl, den ja irgendjemand begangen haben muss. Wer könnte es nur gewesen sein? Das Misstrauen wächst, das Klima im Viertel verändert sich, und je mehr die gewohnte Idylle schwindet, umso größer der Drang, Schuldige zu finden. Diese Künstlerin da zum Beispiel, mit ihrem Freund, dem Lehrer – da stimmt doch was nicht. Wie ein Ungetüm stülpt sich die Waldsee-Gemeinschaft über die beiden Verdächtigen, drückt sie zu Boden.

Finsternis. Dunkle Schatten huschen über die Bühne; Klavier und Klarinette erzählen, was sich hinter den Kulissen des Viertels tut. Diebe im Stadtteil? Eine Bürgerbewegung entsteht, „Sicherheit für unser Viertel” fordert man auf einer Demo.

Mit erfreulicher Prägnanz und Dynamik in allen Elementen führten die Theartic-Kinder ihr Stück auf. Die Sprachverständlichkeit war bei dieser Premiere überraschend gut, im Falle von Sedigeh Sadat – sie spielt eine Tanzlehrerin – geradezu überragend. Einige Overhead-Mikrofone halfen, alles gut zu verstehen. Nahtlos integrierten sich auch die jungen Darsteller mit Handicap, allen voran Marika Kalkhofe als Bürgermeisterin. Diszipliniert und neugierig verfolgte der Saal die Ereignisse, jeder wollte mit zunehmender Spannung wissen, was aus diesem verflixten Fahrrad wohl geworden ist.

Ob es je und vor allem in welcher Form wieder auftaucht, darf hier nicht verraten werden, nur so viel: Wir erleben im Waldsee-Viertel nicht nur, wie Gerüchte funktionieren, sondern auch, wie Kultur helfen kann, wenn die Instinkte allzu sehr die Herrschaft übernehmen. Am Ende kommt sogar das Fernsehen vorbei, um zu sehen, was die Waldsee-Leute kulturell so drauf haben.

Eine mustergültig ausgearbeitete, sehr kindgerechte Produktion, bei der die unbändige Lust am darstellenden Spiel jede Sekunde zu spüren war. Regie und Buch: Ulrike Heymann und Claus Goosmann.

Weitere Aufführungen: Freitag, 11 Uhr und Samstag, 15 Uhr im Neuen Theater

 

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