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Theartic schickt Publikum in ein Beziehungsgeflecht
Von Heiko Müller
Kultur Etwa 350 Zuschauer erlebten am Donnerstag die Premiere von „beziehungsweise Zweierkisten“
Das Ensemble der Emder Theaterwerkstatt lieferte erneut eine überzeugende Leistung ab. Die Inszenierung verlangte dem Publikum aber viel ab.
Emden – So hat das Publikum Theartic noch nie erlebt: Das Erwachsenen-Ensemble der Emder Theaterwerkstatt für Menschen mit und ohne Behinderungen sowie mit und ohne Migrationshintergrund
hat die mehr als 350 Zuschauer bei der Premiere von „beziehungsweise Zweierkisten“ am Donnerstagabend im Neuen Theater in ein wahres Geflecht aus zwischenmenschlichen Beziehungen geschickt.
Es lieferte mit dieser Inszenierung erneut ein überzeugendes Beispiel dafür ab, zu welchen herausragenden Leistungen diese Truppe aus ungleichartigen Laien imstande ist.
Die Besucher erlebten eine rasche, manchmal rasante Folge von Szenen, die zwischen acht Orten wechselte. Das erforderte Durchhaltevermögen und Konzentration sowohl von den Akteuren auf der
Bühne als auch von den Zuschauern im Saal.
Es geht um Beziehungen – Beziehungen zwischen Liebenden, nicht mehr Liebenden, noch nicht Liebenden, zwischen Freundinnen, Nachbarn, Kollegen, zwischen Vorgesetzten und Untergebenen,
zwischen Müttern, Vätern und deren Kindern, zwischen Psychotherapeuten und deren Patienten. Es geht in diesem Stück gleichwohl um Hierarchien, Abhängigkeiten und Gewohnheiten, Angst, Hass,
Liebe und Einsamkeit.
Die Autorin, Produktionsleiterin und Regisseurin Ulrike Heymann hält dem Publikum quasi den Spiegel vor und zeichnet ein realitätsnahes Bild einer Gesellschaft im Wandel. Wohl jeder im Publikum
erkannte sich oder andere in einem der Charaktere auf der Bühne wieder oder wurde in ein beklemmendes Gedanken-Experiment verwickelt. Heymann verzichtete dieses Mal mit wenigen Ausnahmen
auf Überzeichnungen der Charaktere und auf Satire. Sie hat recht, wenn sie sagt, dass die Realität der zwischenmenschlichen Beziehungen spektakulär, erstaunlich und schräg genug ist. Dennoch fehlte es
dem Stück nicht an Wortwitz in den Dialogen. Köstlich war zum Beispiel das „Küsschen, Küsschen“, das als inhaltslose Phrase die Entfremdung zwischen einem quotengeilen TV-Intendanten und seiner
versnobten Ehefrau offenbarte. Nicht minder treffend gewählt waren die Anlehnungen an den Filmklassiker „Casablanca“.
Etwas zäh für die Zuschauer erwies sich hingegen die Auflösung der Querverbindungen zwischen den Zweier-, Dreier- oder Viererkisten. Die vielen Handlungsstränge flossen erst nach und nach
zusammen. Und das vermeintliche und große Happy End, das alle Akteure am Ende mehr oder weniger glücklich vereinte, war absehbar. Die Zuschauer wären auch mit dem Gefühl der Ungewissheit
zufrieden gewesen.
Allen Darstellern auf der Bühne war eine ungeheure Spielfreude anzumerken. Das wurde belohnt: Das Publikum bedankte sich am Ende für diesen langen, aber sowohl unterhaltenden und
nachdenklichen Theaterabend mit stehenenden Ovationen.
Die Produktion wird noch einmal an diesem Sonnabend ab 20 Uhr im Neuen Theater aufgeführt. Die Karten kosten 14 Euro (ermäßigt sieben Euro) im Vorverkauf und 16 Euro (ermäßigt acht Euro) an
der Abendkasse