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Vera Vogt
Benefiz Bei Theartic entstehen auch ohne Worte tiefe Beziehungen – Malik Meyer hat das erlebt
Die OZ sammelt bei ihrer Weihnachtsaktion Spenden für die Theaterwerkstatt Theartic aus Emden. Hier können Menschen mit und ohne Behinderungen jeglicher Herkunft
Kunst schaffen. Malik Meyer hat in verschiedenen Ländern Theater gespielt. So etwas Besonderes wie in Emden hat er nirgends gefunden.
Emden – Malik Meyer zieht die Augenbrauen hoch. Er springt von einer Fensterbank auf. „Erinner’ dich doch noch einmal an die tolle Improvisation von letzter Woche“,
flüstert er einer Darstellerin ins Ohr. Dann schaut er weiter aufmerksam zu. Der 21-Jährige leitet derzeit mit Regisseurin und Autorin Ulrike Heymann die Proben des
Erwachsenen-Ensembles von Theartic.
Meyer ist mit zwölf Jahren zur Theaterwerkstatt gekommen. Damals ist er in die Theatergruppe für Kinder eingestiegen. „Ich kam damals zu Ulrike und habe gebrüllt: ‚Ich will
Theater spielen!‘“, sagt er und breitet dabei seine Arme aus. Auch wenn der junge Mann heute über die Theaterkunst spricht, ist etwas von dieser kindlich überbordenden
Begeisterung spürbar. Sein Gesicht erhellt sich, als wäre ein Bühnenspot darauf gerichtet.
„Ich stand bei Theartic bei vielen Stücken auf der Bühne. Dann kamen Regieaufgaben und die gemeinsame Leitung von Gruppen hinzu“, sagt Meyer. Mit 16 Jahren machte er
ein Jahrespraktikum bei der Theaterwerkstatt. Als er volljährig wurde, zog es Meyer in die Ferne.
Er ist weit herumgekommen: „Ich habe in Polen mit sechs Künstlern aus ganz Europa zusammen gewohnt und gearbeitet“, sagt er. Meyer realisierte dabei eigene Projekte aus
Theater, Tanz und Zirkus. „Aus einem Jahr in Polen wurden drei“, sagt er. Weitere Stationen waren Palästina und Spanien. „Mein Bild von Theater hatte sich komplett
gedreht“, sagt Meyer. Aus ihm sei ein Theater- und Performancekünstler geworden. „Ich habe mich aber schließlich entschieden, wieder zu Theartic zurückzukehren“, sagt er.
Dort habe er Besonderes erlebt – wie bei keinem anderen Theater.
Die Theaterwerkstatt Theartic gibt Menschen mit und ohne Behinderung jeglicher Herkunft die Möglichkeit, zusammen Kunst zu schaffen. In diesem Jahr gehen die Spenden
der OZ-Leser an den gemeinnützigen Verein. Außerdem kommen die Spenden dem Förderverein der Kontaktstelle Dwarsloopers für psychisch Erkrankte zugute.
Warum zog es den jungen Mann wieder zu seinen Wurzeln in Emden zurück? „Weil Theartic einzigartig ist“, ist seine klare Antwort. So lange es seine eigenen Projekte
zulassen, will er dort mitwirken. Bei dem gemeinnützigen Verein werde all das gelebt, was man sich für die Gesellschaft wünsche, ist Meyer überzeugt: „Jeder Mensch wird so
akzeptiert, wie er ist. Mit all seinen Macken und Defiziten – und die hat jeder.“
Inklusion und Integration seien wichtige Themen und in aller Munde, sagt Meyer. „Überall ist man bemüht, dass es klappt. Und hier in Emden bei Theartic funktioniert es
schon“, sagt der
21-Jährige. Dabei werde die Inklusion oft falsch verstanden, meint Meyer. „Es geht nicht darum, dass ein Mensch mit Behinderung von mir – dem vermeintlich Normalen –
lernen soll“, sagt Meyer. Eher im Gegenteil.
Eine Freundschaft hat Meyer besonders geprägt. „Ich finde, die zeigt genau, wer hier von wem lernen kann.“ Kennengelernt haben sich Meyer und der Junge beim Spielen in
einem Ensemble. „Der Junge hat nur gesprochen, wenn er sich wohlgefühlt hat“, sagt er. „Sonst war er verschlossen, antwortete nicht und reagierte auch sonst kaum.“ Wenn
ein Mensch nicht sprechen wolle oder könne, müsse man andere Wege finden, um zu ihm vorzudringen, sagt Meyer. Also hat er den Jungen bei Szenenwechseln lange
angesehen, um ihm zu signalisieren, was als Nächstes anstehe. „Ich habe gelernt, mit den Augen zu kommunizieren. Und auch geduldig zu sein.“ Langsam fühlte sich der
Junge wohler in Meyers Nähe.
„Als er mir vertraute, hat er mich schließlich bei dem Namen seines Bruders genannt“, sagt Meyer und lächelt. „Ich habe ihn gefragt, warum er mich so anspricht.“ Die
Antwort habe Meyer tief berührt: „Er sagte, ich sei für ihn eine Theaterversion seines Bruders.“ Diesen Moment werde er nie vergessen, sagt Meyer. „So etwas habe ich nur bei
Theartic erlebt.“ Mittlerweile sei der Junge kein Mitglied des Ensembles mehr. „Ich vermisse es, mit ihm zu spielen. Aber unsere Freundschaft besteht noch immer.“