Ein bisschen Rampensau und ein bisschen Ballerina (OZ, 30.11.2019)

zum Nachlesen:

Ein bisschen Rampensau und ein bisschen
Ballerina
Vera Vogt
Benefiz Theaterwerkstatt Theartic aus Emden verhalf geflüchtetem Mädchen zu mehr Selbstsicherheit
Die OZ sammelt bei ihrer Weihnachtsaktion Spenden für die Theaterwerkstatt Theartic in Emden. Sedighehs Schauspieltalent wurde
dort erkannt, als sie zehn Jahre alt war. Erst zwei Jahre zuvor war das Mädchen mit seiner Familie aus Afghanistan geflüchtet.
Emden – Die Arme hebt sie langsam über den Kopf, tänzelt von einem Bein auf das andere, ihr Kinn ist gehoben, jede Geste anmutig:
Die
zwölfjährige Sedigheh geht voll auf in ihrer Rolle als Ballerina.
Obwohl das Mädchen erst 2015 mit seiner Familie aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet war, ist das nicht ihre erste Rolle auf
der Bühne. „Ich war sieben oder acht Jahre alt, als wir nach Deutschland kamen“, erzählt sie. 2017 trat Sedigheh in ein Ensemble der
Theaterwerkstatt Theartic in Emden ein.
In diesem Jahr sammelt die Ostfriesen-Zeitung bei ihrer Weihnachtsaktion Spenden für den gemeinnützigen Verein. Er bringt
Menschen mit und ohne Behinderungen, mit und ohne Migrationshintergrund zusammen. Außerdem kommen die Spenden der OZLeser dem Förderverein Dwarsloopers zugute, der sich für Menschen mit psychischen Erkrankungen einsetzt.
Sedigheh wuchs dank Theartic zu einem jungen, selbstsicheren Schauspieltalent heran. Der Verein ist für jeden offen. Auch
Sprachkenntnisse spielen keine Rolle dabei. Diesem Umstand ist zu verdanken, dass Sedigheh auf der Bühne stehen konnte. Denn das
junge Mädchen sprach nach zwei Jahren in Deutschland bereits gutes Deutsch – mit dem Lesen haperte es aber noch. Doch
Schauspieler müssen ihre Textbücher durcharbeiten. Weder für das junge Mädchen noch für die Verantwortlichen bei Theartic war das
ein Hindernis. „Ich habe noch fast Buchstabe für Buchstabe gelesen“, erinnert sich die Zwölfjährige. „Deshalb wurden mir meine
Sätze vorgesprochen“, sagt sie. Das klappte gut. „Ich konnte meine Rolle als Blumenhändlerin für das erste Stück ‚Gerüchte‘ schnell
auswendig“, sagt Sedigheh. Als es für sie dann auf die Bühne ging, war schnell klar: Das Mädchen ist ein Schauspieltalent. Direkt
nach der Aufführung des Stückes „Gerüchte“ wurde ihr eine weitere Rolle in der „Seeräuberinsel“ angeboten. Auch bei dieser
Inszenierung hat Sedigheh die Zuschauer mit ihrer Ausstrahlung mitgerissen, wie es heißt. „Sedigheh hat alles, was einen Star
ausmacht“, sagt Ulrike Heymann, die Gründerin von Theartic. „Sie begeistert das Publikum und spielt wie ein Profi.“ Sedigheh sei
eine wahre Rampensau. „Und ein strahlendes Beispiel dafür, wie gelebte Integration aussieht“, so Heymann. „Sedigheh kam zu
Theartic, wollte auf die Bühne – und hat jeden umgehauen. Die Herkunft spielt hier keine Rolle.“ Dass Sedigheh sich vor neuen
Herausforderungen nicht scheut, stellt sie auch bei den Proben für das neue Stück unter Beweis. „Ich spiele eine Spielzeug-Ballerina,
die zum Leben erwacht“, sagt sie. Ohne auch nur eine Ballett-Stunde genommen zu haben, improvisiert sie einen minutenlangen Tanz.
„Sedigheh ist unheimlich selbstsicher geworden“, sagt Ulrike Heymann.
Auch gegen große Aufregung vor Auftritten ist Sedigheh gut gewappnet: „Ich sage mir immer: ‚Ich bin ja nicht alleine‘.“ In ihrem
Elternhaus sei die Schülerin ebenfalls selten alleine, sagt sie. Davon ist sie allerdings manchmal weniger begeistert. „Ich habe einen
kleinen Bruder und eine kleine Schwester, die können nerven“, sagt sie lächelnd. „Die laufen mir überall hinterher.“ Deshalb sei es für
sie schön, das Theater ganz für sich allein zu haben.

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