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Singen half ihr, wieder sprechen zu lernen
Vera Vogt
Spende Wegen einer Hirnblutung konnte Ingrid Austel nicht mehr sprechen – sie fand Hilfe bei Theartic
Emden – Die goldene Brosche in Form eines Notenschlüssels strahlt mit Ingrid Austel um die Wette, wenn sie vom Singen erzählt. „Ich
verdanke dem TheartiChor so viel“, sagt die 64-Jährige. „Durch das Singen habe ich wieder sprechen gelernt.“
Vor 13 Jahren hat Austel nach einer Hirnblutung eine rechtsseitige Lähmung erlitten. Sie musste sich einer Operation unterziehen. „Ich
konnte danach nicht mehr sprechen“, sagt sie. Bei dem Gespräch mit der OZ ist der Hinteranerin nicht mehr anzumerken, dass sie Probleme
mit der Sprache hatte. Austel spricht flüssig und verständlich. „Morgens fällt es mir noch leicht. Abends wird es auch heute noch schwieriger
für mich“, erklärt Austel. Die 64-Jährige ist überzeugt, dass sie ohne das Singen ihre Sprache nicht zurückgewonnen hätte. Austel formuliert
es so: „Ich bin dem TheartiChor so unglaublich dankbar, dass er mich aufgenommen hat. Ohne das Singen dort könnte ich heute nicht
wieder so sprechen, wie ich es tue.“
Ingrid Austel sang in Chören, seit sie denken kann, erzählt sie – „schon immer“. Als sie durch ihre Erkrankung ihre Sprache verlor, legte sie
auch ihr Hobby zunächst auf Eis. Ihr fehlte der Mut, sich an einen Chor zu wenden, so lange es mit dem Sprechen noch haperte, sagt sie.
„Aber nach vier Jahren vermisste ich das Singen so sehr. Mein Mann hat mich dann dazu motiviert, es bei Theartic zu probieren“, sagt
Austel. „Heute verdanke ich dem Chor so viel.“
Schritt für Schritt habe sich ihre Aussprache durch das regelmäßige Singen gebessert. „Ich kann nur jedem raten, der zum Beispiel nach
einem Schlaganfall Probleme mit dem Sprechen hat, einem Chor, wie dem bei Theartic beizutreten.“ Es habe sich für Austel angefühlt, als
ob ihre Zunge durch das Singen wieder beweglicher geworden sei. „Der TheartiChor war gerade zur Anfangszeit der einzige, der sich für
mich eignete“, sagt Austel.
Der Chor der Theaterwerkstatt Theartic in Emden hat nämlich – wie es das Credo des Vereines ist – keine Eintrittsschwelle. „Menschen mit
oder ohne Einschränkungen schaffen gemeinsam Kunst“, sagt Arne Bohnet, einer der Verantwortlichen von TheartiChor.
Gemeinsam mit Christina Dane leitet er das Projekt. Das Besondere an dem Chor sei allerdings nicht nur, dass jeder mitmachen kann, auch
die Stimmung sei anders als in vielen Gesangsgruppen. „Die Sänger sind alle bei mir“, sagt Bohnet. Das heiße, die Menschen reagierten auf
kleine Zeichen, seien konzentriert. „In anderen Laiengruppen läuft es oft so: Die drei Sänger, die hinten stehen, denken an etwas anderes.
Ein anderer möchte sich profilieren und übertönt alle“, beschreibt Bohnet. So etwas gebe es im TheartiChor nicht: „Alle geben ihr Bestes.“
Auch Ingrid Austel hat der Enthusiasmus der rund
30 Chormitlieder umgehauen. „Man kommt zu den Proben und es wird viel gelacht. Die Menschen sind so herzlich“, sagt sie. „Auch deshalb
wünsche ich mir, dass Theartic noch lange bestehen bleibt. So etwas wie meine Geschichte gibt es wohl nur da.“
Die Leser der Ostfriesen-Zeitung können in diesem Jahr im Zuge der Weihnachtsaktion für Theartic spenden. Außerdem geht das Geld an
den Förderverein der Kontaktstelle Dwarsloopers für psychisch Erkrankte. Die Verantwortlichen von Theartic träumen schon lange von
eigenen Räumen für ihre Theater- und Musikgruppen. Ingrid Austel hat noch einen zusätzlichen Wunsch für ihren Chor – sie hofft auf
männliche Verstärkung. „Wir suchen händeringend mehr Herren für den Chor“, sagt sie. Derzeit singt Austel im Tenor bei den Männern.
„Traut euch, vorbeizukommen“, wirbt die 64-Jährige.
Bei den wöchentlichen Proben des Chores sei jeder willkommen. „Man muss auch keine Noten lesen können. Und man kann sich die Proben
auch erst mal in Ruhe anschauen“, sagt sie. Jeder, wirklich jeder, werde herzlich aufgenommen. „Aber am liebsten Männer“, sagt sie noch
einmal eindringlich und hebt lachend den Zeigefinger.